Der Absturz von Lancaster LL923 LS-O
15 Squadron Royal Air Force
bei Biedesheim/Pfalz
05.01.1945
Am 05.01.1945 gegen 15.00 Uhr führte die Royal Air Force mit 160 Bombern einen Tagesangriff auf das Bahnhofsgelände sowie die Gleisanlagen bei Ludwigshafen am Rhein durch. Die geplanten Ziele wurden getroffen, aber auch, sehr schwer, die Stadt Ludwigshafen selbst. Bei dem Angriff gingen zwei englische Lancaster Bomber verloren. Eines der Flugzeuge wurde über Ludwigshafen von Flak beschossen und stürzte bei Mutterstadt/Pfalz ab (Lancaster HK603). Das andere Flugzeug, Lancaster LL923, war um 11:29 Uhr in Mildenhall/Groß-britannien gestartet, wurde aber unterwegs von einem anderen Bomber im Verband beschädigt, wodurch das Ziel sowie die Heimat nicht mehr erreicht werden konnte. Ein höher im Verband fliegendes Flugzeug geriet vermutlich dicht hinter einem anderen Bomber kurzzeitig in schwere Turbulenzen bzw. in Probleme. Der Grund lässt sich nicht mehr ermitteln, aber das Ergebnis war, dass dieses Flugzeug seine Bombenlast verfrüht abwarf. Lancaster LL923, der weiter unten im Verband flog, wurde wohl durch die herabfallenden Bomben gestreift und schwer beschädigt. Er konnte die Flugroute nicht mehr halten und musste den Verband verlassen. Im weiteren Verlauf dieses Ereignisses stand sein Absturz.
Ein Augenzeuge, Herr Simgen, berichtet:
„Das Flugzeug kam aus Richtung Kindenheim und flog über Biedesheim in Richtung Lautersheim/Kerzenheim, bis wir es nicht mehr sehen konnten. Kurz darauf kam das Flugzeug aber wieder zurück und flog in sehr niedriger Höhe, nur ca. 40-50 Meter, und sehr langsam. Es hatte bei Kerzenheim wohl keinen Landungsplatz finden können und wollte nun offensichtlich hier notlanden. Es überflog die Hochspannungsleitung und man konnte sehen, wie Besatzungsmitglieder des Flugzeuges in der Tür, aber auch auf den Tragflächen standen. Wollten sie herunterspringen? Ich war noch sehr jung, ein polnischer Kriegsgefangener zog mich weg und brachte mich ein paar Häuser weiter in Sicherheit, weil er wohl wusste, was sich gleich abspielen würde. Er sollte recht behalten. Das Flugzeug streifte in sehr niedriger Höhe einen Baum und es erfolgte eine fürchterliche Explosion. Dabei verlor mein Vater, der sich weiter vorne befand und das Schauspiel ebenfalls betrachtete, ein Bein. Später sah ich, dass das Dach und das 1. OG meines Elternhauses, im Bereich der Absturzstelle, nicht mehr vorhanden war. Dort oben, wo mal das 1. OG war, wurde später noch eine Propellernabe samt Propeller gefunden. Unsere Halle, die noch näher am Ort der Explosion stand, wurde komplett zerstört. Dort starben ein Kriegsefangener und ein deutscher Arbeiter. Überall lagen Flugzeugteile. Jahre nach dem Krieg fand ich dort noch Aluminiumteile. Von der Besatzung wurden nach der Explosion nur noch kleine Überreste gefunden. Sie waren komplett zerrissen worden. Noch Tage später fand man Leichenteile in den Feldern. Die Kiste, in der die Leichenteile gesammelt wurden, stand in unserem Hof, da unser Haus das einzigste Haus im Bereich der Absturzstelle war. Ich habe Tage später kurz in die Kiste hineingeschaut. Ich sah zwar nicht viel Blut, aber den Anblick vergesse ich nicht mehr. Die Kiste wurde später zum Biedesheimer Friedhof gebracht, wo die Leichenteile beerdigt wurden. Nach dem Krieg wurden die Leichenteile wieder ausgegraben bzw. abgeholt.“
Die Überreste der Besatzung wurden in einem nicht nummerierten Grab auf dem Friedhof von Biedesheim beerdigt. Am 30.04.1948 wurden die Überreste umgebettet und heute ruht die Besatzung in Rheinberg bei Duisburg auf einem Sammelfriedhof der Commonwealth War Graves Commision. Die Besatzung von Lancaster LL923 bestand aus sieben Mann. Sechs davon wurden bei dem Absturz getötet. Einer hat den Absturz überlebt. Er konnte im Vorfeld mit dem Fallschirm aus dem Heck-MG-Turm abspringen. Nach der Landung wurde er gefangen genommen.
Die Besatzung, sechs Engländer und ein Australier*, setzte sich folgendermaßen zusammen:
Der Pilot war der 23-jährige Flight Sergeant David Hamilton Williams (RAF). Der Navigator war Flying Officer William Young (RAF). Sergeant Stephen Joseph Dolan war der Flugingenieur (RAF). Der 22-jährige Flight Sergeant George Ifould Rugless war der Funker an Bord der Maschine und gehörte der Royal Australian Air Force (RAAF) an*. Flight Sergeant Arthur Bernard Nicklin war der Bombenschütze (RAF) und 22 Jahre alt. Sergeant Evan Emlyn Parkhouse fungierte als Turmschütze, und Sergeant D.T. Darby, der einzige Überlebende des Absturzes, fungierte als Heckschütze. Nachdem Sgt. Darby gefangen genommen wurde, wurde er über DULAG Luft, das Durchgangslager der Luftwaffe bei Frankfurt, nach STALAG Luft 1, das Stammlager der Luftwaffe in Barth, Mecklenburg, Lager West verbracht.
Offensichtlich hatte das Flugzeug kurz vor der versuchten Notlandung gegen 14:40 Uhr unüblicherweise noch die ganzen (bzw. ein Großteil der) Bomben an Bord. Dabei kam es nach der Berührung mit dem besagten Baum zur Detonation einer der Bomben (mehr als eine Explosion wurde durch Augenzeugen nicht wahrgenommen, außer mehrere Bomben explodierten evtl. gleichzeitig). Hierbei könnte es sich um einen 4000lb/2000-kg. „Wohnblockknacker“, bzw. um eine bei der Royal Air Force umgangssprachlich „Cookie“ genannte Luftmine, mit wenig Splitter- aber hoher Druckwirkung, gehandelt haben. Nach dem Absturz wurden mehrere Bomben kleineren Kalibers in der unmittelbaren Umgebung des Absturzes gefunden. Einem Bauer ging die Entsorgung durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst wohl nicht schnell genug („die Felder mussten bestellt werden“), und er zog eigenhändig eine der Bomben mit einem Fahrzeug von seinem Acker.
April 2021: Als ich die Dorfbewohner auf den Absturz angesprochen habe, deuteten die Gespräche bereits in eine bestimmte Richtung, auf eine bestimmte Stelle im Dorf, wo sich der Absturz ereignet haben könnte. Dort angekommen klingelte ich bei dem erst besten Haus. Niemand zu Hause. Nach 10 Minuten an einer anderen Stelle hatte ich mehr Glück. “Ja, ich kenne da jemanden, er war damals dabei. Sein Vater hat sogar bei dem Absturz ein Bein verloren. Ich habe dieses Anwesen vor kurzem von ihm gekauft.“ Er gab mir die Handynummer* des Zeitzeugen, der inzwischen im Raum Bad Dürkheim wohnt. Außerdem zeigte er mir die „ungefähre Stelle“. Genau wusste er es aber nicht. Daraufhin überprüfte ich zunächst die „ungefähre Stelle“. Ein Acker, frisch gepflügt. Oft findet man an Absturzstellen noch kleine Aluminium- oder sonstige Reste, die hochgepflügt werden. Das sieht man am besten, wenn es frisch geregnet hat (vor allem Plexiglas). An der besagten Stelle war, trotz systematischer Suche, weit und breit nichts zu finden, was auf einen Absturz hindeutete. Wenn das die Absturzstelle war, hätte ich auf dem Acker, nach so einer Explosion, etwas finden müssen, auch wenn es nur ein kleines Stück Plexiglas ist. Aber leider nichts. Vielleicht war es doch eher 200 Meter weiter? Mal schauen. Dort fand ich aber leider auch nichts. Leider also vorerst erfolglos.
Mein Auto stand immer noch vor dem Haus, in dem ich vorher Auskunft bekommen hatte. Ich ging zurück zum Auto und rief die besagte Handynummer* an. Fast gleichzeitig parkte ein Auto mit Bad Dürkheimer Kennzeichen hinter mir, eine Person stieg aus und ging in das gleiche Haus, in dem ich vorhin Auskunft bekommen hatte. Über Telefon kam eine Verbindung mit dem Zeitzeugen zustande. Ich stellte mich vor, und beschrieb, wo ich gerade war. Plötzlich sagte er: „Haben Sie ein schwarzes Auto, einen Pickup?“ Dies bejahte ich. „Dann stehen Sie vor der Halle, die ich gerade verkauft habe. Ich bin gerade angekommen.“ Treffer! Besser konnte es zu dem Zeitpunkt nicht laufen. Der Zeitzeuge aus Bad Dürkheim war nach Biedesheim gekommen, just als ich gerade da war.
Er erzählte sehr detailliert, was er damals gesehen hat, was passiert ist, und vor allem, wo die genaue Stelle war. Offensichtlich nicht dort, wo ich vorhin Kleinteile gesucht hatte. Jetzt wurde alles klarer. Leider war die wahrscheinliche Absturzstelle komplett bepflanzt. Die erste Vorarbeit war aber gemacht, und bald geht die Suche nach stichhaltigen Beweisen, sprich Flugzeugteilen, in die nächste Phase. Am Ende des Projekts ist auch hier ein Gedenkstein angedacht. Aber zuerst, sobald die ersten eindeutigen Beweise vorliegen, wird versucht, Kontakt mit den Nachfahren der Besatzung aufzunehmen, um diese über die genaue Stelle und unsere Forschungsergebnisse zu informieren. Erik Wieman