Nachfahren aus Australien besuchen Absturzstelle
von Lancaster DV174 Speyer
19.05.2019
Angekündigt hatten sie sich bereits einige Monate vorher. Judy Midgley aus Toowoomba, und Lynn Sherington, ihre Tochter, aus Brisbane, beide aus dem Bundesstaat Queensland, Australien. Am 19. Mai 2019 war es soweit. Sie sind Nachfahren von George Arthur Hadley, der im Speyerer Stadtwald umgekommene Navigator des Lancaster Bombers DV174.
Am 23. September 1943 war er mit seinen sechs Kameraden im Stadtwald abgestürzt, nachdem ein deutscher Nachtjägerpilot, Martin Becker, sie abgeschossen hatte. Alle sieben Insassen des Bombers, fünf Australier und zwei Engländer, kamen dabei ums Leben. Fünf davon, auch Arthur Hadley, verbrannten im Wrack bis zur Unkenntlichkeit.
Die Absturzstelle wurde in 2015 durch die IG Heimatforschung lokalisiert. Parallel dazu wurde versucht, alle Nachfahren der Besatzung zu erreichen und über unseren Fund zu informieren. Mit Hilfe einer australischen Zeitung konnte die Familie von Navigator Hadley in Australien aufgespürt werden.
Die Absturzstelle wurde vollständig untersucht und ein Jahr später wurde dort ein Gedenkstein realisiert. Judy und Lynn waren extra nach Deutschland angereist, um die Stelle zu sehen, an der ihr Familienmitglied damals umgekommen ist.
Am 19. Mai 2019, um 11:30 Uhr, holte ich, zusammen mit meiner Frau, beide Australierinnen am Hauptbahnhof in Speyer ab. Anschließend fuhren wir zu einem nah an der Absturzstelle gelegenen Parkplatz. Es waren bereits ein Reporter samt Fotograf, ein Zeitzeuge, und Heiko Zech (IG Heimatforschung) mit seiner Frau als Empfangskommitée anwesend. Von dort ging es gemeinsam zu Fuß weiter zum Gedenkstein an der Absturzstelle im Wald.
Am Gedenkstein wurden Judy und Lynn Einzelheiten zum Absturz erläutert und Stellen, an denen damals besondere Funde gemacht wurden, gezeigt. Die in der Nähe verlaufende Bahnlinie, nur wenige Meter von der Absturzstelle entfernt, wurde ebenfalls besucht. Dort fuhr damals ein Flakzug zwischen Schifferstadt und Speyer, der lt. einem der Zeitzeugen noch „bis zuletzt auf das Flugzeug gefeuert hat und ohrenbetäubenden Krach verursacht hat“.
Einer der Anwesenden war ein Zeitzeuge des Bombenangriffs, an dem Lancaster DV174 und seine Besatzung damals beteiligt waren. Jahrelang hatte er die Opfer, die Toten des Angriffs auf Ludwigshafen vor Augen. Heute traf er die Verwandten der „anderen Seite“. Es war wie ein Befreiungsschlag, sagte er. Es geht ihm jetzt besser, und nichts ist mehr wie es vorher war.
Heute lässt sich, wenn man sich das Waldstück anschaut, nur schwer erahnen, was sich hier, an der Absturzstelle, abgespielt hat. In 2015 und 2016 wurde die Fläche komplett freigemacht von Bewuchs, um die Stelle detailliert untersuchen zu können. Mittlerweile ist die Absturzstelle wieder fast gänzlich mit Bewuchs überdeckt.
Nur der Gedenkstein erinnert noch daran. Ein optisches Mahnmal, gleichzeitig die optische Markierung eines historischen Ereignisses, aber vor allem eine Stelle, an der die Nachfahren Antworten bekommen, wo sie hingehen können, um, wie in diesem Fall auch, abschließen zu können.
Nämlich erst nachdem sie in 2016 durch uns über die Stelle und die Hintergründe informiert worden waren, wussten sie erst, was sich damals abgespielt hat. Und wo. Die Familie wusste bis dahin nur, dass ihr australisches Familienmitglied irgendwo im Krieg über Deutschland abgeschossen worden war und dass die sterblichen Überreste auf einen alliierten Sammelfriedhof im Norden von Deutschland überführt worden waren.
Nach Abschluss der Führung und einer kurzen Wanderung zurück zum Parkplatz, verlagerte die Gruppe sich in ein sich in der Nähe befindliches Restaurant, wo wir bei einem gemütlichen Essen den Mittag ausklingen ließen. Anschließend brachten wir beide Australierinnen zu ihrem Appartement, in Sichtweite des Doms von Speyer gelegen, wo wir uns verabschiedeten. Jetzt hieß es für die Beiden erst einmal Koffer auspacken. Ein für alle Beteiligten besonderer Tag ging zu Ende.
Es waren schon viele Nachfahren der einzelnen Familien der Besatzung von Lancaster DV174 in Speyer, um die Stelle zu besuchen. Es werden immer wieder Nachfahren der Familien folgen. Das wurde uns versichert. Die Nachfahren der Besatzung. Sie machen diese, fast vergessene Geschichte, diese vergessenen Schicksale, wieder lebendig. Wir, die IG Heimatforschung Rheinland-Pfalz, werden ebenfalls alles dazu betragen, dass diese Geschichten, diese Schicksale, nicht vergessen werden. Der nächste Gedenkstein, an einer anderen Absturzstelle, die vor kurzem durch uns gefunden und untersucht wurde, ist bereits in Planung.
Erik Wieman