460 Squadron Royal Australian Air Force
Am Freitag den 23. September 1943 um 18:39 Uhr stieg ein viermotoriger Bomber vom Typ Lancaster Mk. III, Identifikationsnummer DV174 von der Royal Air Force Basis Binbrook im englischen Lincolnshire auf um einen Auftrag über Deutschland zu absolvieren. Das Flugzeug war Teil eines großen Bomberstroms, bestehend aus 628 Maschinen, Bombern samt Begleitmaschinen, mit gemischten Besatzungen aus England, Australien, Kanada und Neuseeland. Ihre Mission: Angriff auf Mannheim. Um 22:41 Uhr trafen die ersten Bomber über dem Zielgebiet ein und der Angriff begann.
Lancaster DV174 hatte ein 4000lb „Cookie“ (Luftmine), drei 1000lb Sprengbomben und 78 Stabbrandbomben geladen. Es war ein Flugzeug von der berühmten australischen 460. Squadron und hatte eine gemischte Besatzung, vier Australier und drei Engländer, an Bord.
Die Besatzung bestand aus Pilot Bruce Plant, Navigator George Hadley, Bombenschütze Allen Cumming, Funker Donald Hirst, Flugingenieur William Davis und den beiden Maschinengewehrschützen Dion Harris und D´Arcy Morrison.
Bildquelle: IWM
Die meisten Bomber des Bomberstroms konnten ihre Ladung im Zielgebiet über Mannheim abwerfen. Die Bombenabwürfe endeten kurz nach 23:00 Uhr. Es war eine der schlimmsten Bombennächte, die Mannheim je erlebt hat. Der Bomberstrom machte sich nach dem Angriff auf den Rückflug nach England. Doch bis England sollten es Pilot Plant und seine Mannschaft nicht mehr schaffen. DV174 wurde auf dem Rückflug zwischen Mannheim und Speyer von einem deutschen Nachtjäger vom Nachtjägergeschwader 6 angeschossen und schwer beschädigt.
Sgt. William Davis F/O George Hadley F/Sgt. Allen Cumming F/Sgt. D´Arcy Morrison F/Sgt. Bruce Plant
Der deutsche Nachtjäger vom Typ Messerschmidt Bf 110 wurde von Oberleutnant Martin Becker geflogen. Es war sein erster Abschuss. Bis zum Ende des Krieges sollten noch 57 Abschüsse dazukommen. Fast alles alliierte Bomber.
Obwohl Lancaster DV174 bereits schwer beschädigt war und brannte, flog sie noch weiter. Aber zwischen Schifferstadt und Speyer befand sich im Abwehrriegel um Ludwigshafen und Mannheim noch ein Eisenbahnzug, gespickt mit Fliegerabwehrkanonen (FLAK). Dieser FLAK-Zug eröffnete ebenfalls energisch das Feuer auf das bereits schwer beschädigte Flugzeug. Das Schicksal der vier Australier und drei Engländer war besiegelt. Lt. Zeitzeugen waren die letzten Minuten gekennzeichnet durch einen höllischen Krach, vom Jaulen der Flugzeugmotoren einerseits und dem Bellen der Fliegerabwehrkanonen anderseits. Der Himmel war hell erleuchtet. Ein Zeitzeuge meinte, der Pilot konnte das brennende Flugzeug noch einmal hochziehen, um nicht in einem bewohnten Gebiet runterkommen zu müssen. Danach sackte die Maschine steil ab und krachte um 23:21 Uhr brennend in den Speyerer Stadtwald.
Das Flugzeug hatte eine Schneise durch den Wald gezogen. Überall lagen Trümmer. Das Heck des Flugzeuges lag vom Rumpf abgetrennt auf dem Waldweg. Heck-Schütze F/Sgt. D´Arcy Morrison war im Heck eingeklemmt. Der Rumpf des Flugzeuges hatte offenbar stark gebrannt. Daneben lagen tote Flieger. Sie waren fast komplett verbrannt.
Die Flieger wurden zunächst auf dem Speyerer Friedhof begraben. Nach dem Krieg (1948) wurden sie exhumiert und nach Rheinberg, einem Alliierten-Friedhof bei
Duisburg, umgebettet. Dort liegen sie bis heute. Die an der Oberfläche liegenden Flugzeugteile wurden in den nachfolgenden Wochen entfernt, und die Absturzstelle geriet in Vergessenheit. Bis
jetzt.
Wir wurden September 2015 auf den Absturz aufmerksam und beschlossen, die Stelle und die sieben Leben, die dort so tragisch endeten, im Sinne der Nachfahren, im Sinne der Völkerverständigung und im Sinne der Forschung aus der Vergessenheit zu holen.
Fakten wurden gesammelt, Archive wurden konsultiert, Zeitzeugen wurden ausfindig gemacht und gehört, und alle erforderlichen Genehmigungen wurden eingeholt. Als die Stadt Speyer, die Forstbehörde und das Landesamt für Denkmalpflege in Speyer ihr OK gegeben hatten, konnte die Suche im Wald beginnen. Nach mehreren Tagen erfolgloser Suche war es dann soweit. Am 25. September 2015, fast auf den Tag genau 72 Jahre nach dem Absturz, konnten die ersten Flugzeugteile von Lancaster
DV 174 geborgen werden. Die Stelle war gefunden. Viele Aluteile vom Rumpf und Flügel, Fragmente von Instrumenten, Hydraulikleitungen, ein Feuerlöscher, ein Bombenabwurfmechanismus, aber auch persönlichere Sachen wie Metallschnallen, Fallschirmgriffe, Fallschirmschlösser, Taschenmesser lagen unmittelbar unter dem Laub. Auch kamen verschiedene Holz- und Plastikteile, Plexiglas von den Kanzeln, etc., zum Teil angeschmolzen oder verbrannt, zum Vorschein. Beim Bergen der Funde konnte man im Boden eindeutig sehen: Hier hat es fürchterlich gebrannt. Eindeutige Beweise dafür waren auch viele größere „Tropfen“ geschmolzenes Flugzeugaluminium. Der Hauptaufschlagspunkt des Flugzeugs konnte so eindeutig bestimmt werden. Viele Metallfunde waren eindeutig mit „AM“ (Air Ministry) und Datum
(1942 und 1943) gestempelt. Und wie bei fast jedem Absturzort wurden aber auch hier etliche Munitionsfunde gemacht. Viel Munition war offenbar am Absturzort explodiert oder weggeschleudert worden als das Flugzeug einschlug und brannte. Anhand des Fabrikats und Kalibers der Munition (Kal. .303), die aus den drei Maschinengewehrkanzeln des
Flugzeugs stammte, konnte das Flugzeug auch eindeutig als englisches identifiziert werden. Die Patronen waren gestempelt bis 1943 (Herstellungsjahr). Jenes Schicksalsjahr. Die noch scharfe Munition, vieles davon Brandgeschosse mit blauer Geschossspitze, wurde dem Kampfmittelräumdienst übergeben. Es wurden aber nicht nur scharfe Patronen gefunden. Es waren auch bereits abgeschossene Patronenhülsen dabei. Zeugen vom allerletzten Luftkampf. Diese wurden
durch den Maschinengewehrschützen Morrison, Harris oder dem Bombenschützen (mit Zweitaufgabe Bedienung der Front-MG´s ) Cumming abgefeuert. Da die Absturzstelle des Flugzeugs jetzt eindeutig identifiziert war, wurde geprüft, ob die damalige Fliegerstaffel, die 460. Staffel/Squadron von der RAAF (Royal Australian Air Force) evtl. noch über einen Veteranenverein vertreten wird bzw. erreichbar ist, und siehe da, dies war der Fall. Der Vorsitzende des Veteranenvereins in Australien wurde über die Arbeit der IG Heimatforschung RLP und den Fund der Abstürzstelle bei Speyer in Kenntnis gesetzt. Die Freude über den Fund der Absturzstelle war riesengroß, denn Einzelheiten über den Absturz waren nicht bekannt. “Irgendwo bei Speyer abgestürzt“ hieß es nur im Archiv. Aber wo genau? Jetzt wissen wir es. Reger Emailverkehr zwischen Australien und Deutschland folgte und die Suche nach zusätzlichen Informationen, Bildern und Angehörigen der Besatzung läuft momentan auf vollen Touren.
Ziel ist es, dort eine Erinnerungstafel oder einen Gedenkstein aufzustellen, der Auskunft gibt über spezifische Daten zum Abstürz, Mission, Namen der Gefallenen, etc. Ein Ort der Erinnerung. Auch für die Nachfahren. „Die haben jetzt einen Platz wo sie hingehen können. Genau an der Stelle im Speyerer Wald, wo das Leben ihrer Verwandten ein gewaltsames Ende fand“. Aber auch damit zukünftig keiner mehr einfach so vorbei geht, ohne zu wissen, was dort vor mehr als 70 Jahren passiert ist, wer dort gestorben sind, am Abend des 23. September 1943.
Die IG Heimatforschung RLP bedankt sich ganz herzlich bei allen beteiligten Personen, Stellen, Ämtern wie die Stadtverwaltung Speyer, die Forstbehörde Speyer, das Landesamt für Denkmalpflege Speyer und dem Kampfmittelräumdienst Räumgruppe Worms für ihre Unterstützung!
Update 16.07.2016::
Arbeitseinsatz IG Heimatforschung, Gedenkstein wurde gesetzt.
Update: Mittlerweile wurden Nachfahren erreicht von:
-Bordschütze Flight Sgt. D´Arcy Morrison (Australien)
-Bombenschütze Flight Sgt. Allen Cumming (Australien)
-Flugingenieur Sgt. William „Billy“ Davis (Großbritannien)
-Pilot Flight Sgt. Bruce Albert Plant (Australien)
-Navigator F/O George Arthur Hadley (Australien)
Courtesy of the Pasterfield family
Update 01.10.2016:
Gedenkstein-Einweihung an der Absturzstelle durch IG Heimatforschung RLP und Oberbürgermeister Hr. Eger, Bistum & Ev. Kirche Speyer Pfarrer Hr. Dr. Mohr/Pfarrer Hr. Kronenberg, Wing Commander Elsley (Royal Australian Air Force / Australian High Commission), Oberstabsarzt d. Luftwaffe Hr. Dr. Graf.
Besuch Reichswald War Cemetery, Oktober 2016, Crew DV174
Update 27.01.2017: Nachfahren von Flying Officer George Hadley, Navigator, in Australien gefunden!
Teil v. F/O Hadley´s Navigatonscomputer.
Update 10.03.2019: Nachfahren aus Australien besuchen Absturzstelle
Update 19.05.2019: Nachfahren aus Australien besuchen Absturzstelle