Die letzten Minuten vor dem Absturz bei Mechtersheim

20.01.1945

Besatzungsmitglied Sgt. Island Bennett Brown

B-17G, Flying Fortress 43-37889


Nachdem die Familie von Sergeant Island B. Brown Ende 2020 in den USA kontaktiert werden konnte, stellte sich heraus, dass Sergeant Brown, der Kugelturmschütze, seine Erlebnisse am besagten 20. Januar 1945 und danach, schriftlich festgehalten hat. Er beschreibt sehr detailliert, was damals am Tag des Absturzes und während seiner Zeit in der Kriegsgefangenschaft geschah. Ein sehr besonderes Zeitdokument!  Die Geschehnisse am besagten Tag des Flugzeugabsturzes, nachfolgend in Auszügen dokumentiert, beschrieb er wie folgt: 

 

„Um 03:30 Uhr wurden wir geweckt und darüber informiert, dass wir an diesem Tag eine Mission fliegen würden. Wir sollten uns in der Kantine zum Frühstück melden, danach unsere Ausrüstung abholen und uns anschließend um 06:00 Uhr zum Briefing melden. Zusammen mit Nelson (Red) Beyer , unserem Turmschützen/Flugingenieur, lief ich zu der Kantine um zu frühstücken. Nelson war Katholik, und er wollte noch schnell zum Seelsorger bevor wir losflogen, deshalb wartete ich dort solange auf ihn. Nachdem wir gefrühstückt hatten, liefen wir zur Ausrüstungshalle, durch die man einfach durchlief und sich nahm, was man während der Mission tragen wollte. Man konnte wählen zwischen elektrisch beheizten Anzügen oder Lederanzügen mit Fleece. Ich wählte wie immer den elektrisch beheizten Anzug, da man damit nicht so eingeengt war. Der Nachteil war aber, sollte das elektrische System (im Flugzeug, an welchem der Anzug angeschlossen war) durch Flak getroffen werden oder ausfallen, würde man große Probleme bekommen. Deshalb zogen viele den Lederanzug mit Fleece vor.“



„…da wir es eilig hatten zum Briefing zu gehen, ging ich, statt den längeren Weg zum anderen Ende des Gebäudes zu laufen, um ein Fallschirm abzuholen, einen kürzeren Weg, denn ich wusste, es gibt in der Nähe des Ankleideraumes einen Behälter, in dem Fallschirme aufbewahrt wurden, die nach Einsätzen dort deponiert wurden, den Kontrollbehälter. Er beinhaltete Fallschirme, die „möglicherweise“ durch Flak beschädigt waren oder repariert werden mussten. Ich lief zu diesem Behälter, entnahm einen Fallschirm, der offensichtlich keine Beschädigungen hatte und äußerlich gut aussah, ohne Flakschäden, und ging anschließend zum Briefing. Später sollte ich mir noch Sorgen machen wegen dieser Selektionsmethode, bzw. der Art und Weise, wie ich meinem Fallschirm, vor lauter Zeitnot, ausgewählt hatte.“

 

„Der Briefing-Raum (Info-Raum, in dem Besatzungen über kommende Einsätze informiert wurden) war fast voll. Mitchell, der Pilot, saß, zusammen mit dem Rest der Crew, in der Mitte des Raumes, also gesellten wir uns zu ihnen. Kurz darauf begann das Briefing. Zunächst wurden uns die Karten mit  unserer Flugroute, den Flakstellungen und den Stellen, an denen Gefahr durch Jagdflugzeuge zu erwarten war, gezeigt. Als uns das eigentliche Ziel (Mannheim) auf der Karte gezeigt wurde, ging ein Stöhnen durch die Menge. Aber das war meistens der Fall, egal wo wir hinflogen. Es gab keine leichten Flüge, obwohl manche Flüge bzw. Ziele als leicht galten. Heute war das Ziel die Gleisanlagen und Brücken bei Mannheim. In unserer Besatzung fehlte ein Mann, Claude Wilson, er war krank, also bekamen wir einen Ersatz für diesen Flug (LT2 Henry Skubik).

Wir sollten heute mit drei Staffeln unserer Bombergruppe fliegen, insgesamt 45 B-17.

 

Als wir aufstiegen, kamen nach und nach alle Gruppen auf einer Koordinate in der Luft zusammen. Gemeinsam überflogen wir den englischen Kanal. Als wir über Frankreich waren, sah ich, dass ein Flugzeug die Formation verließ und zurück nach England flog. Es hatte wohl technische Probleme, ansonsten war das nicht zu rechtfertigen. Der Pilot, die Crew würde sich in England wohl rechtfertigen und einen guten Grund vorweisen müssen.

 

Den ganzen Weg zum Ziel wurden wir immer mal wieder beschossen durch Flak. Ich saß im  Kugelturm unten am Flugzeug und hatte, da ich ständig den Turm drehte, um uns in allen Richtungen gegen feindliche Jagdflugzeuge abzusichern, einen guten Rundumblick. Die schwarzen Explosionen der Flak, manchmal sehr nah an unserer Position, konnte man so auch deutlich sehen.



Noch eine gewisse Zeit, bevor wir Mannheim erreichten, verloren wir bereits durch Flak, Motor Nr. 4. Über den Interkom wurde diskutiert, ob wir zurückfliegen sollten, aber der Pilot entschied, dass er es auch mit drei Motoren bis zum Ziel schaffen würde. Wären wir zurückgekehrt und hätten die Formation verlassen, wären wir über feindlichem Gebiet auch ein leichtes Ziel gewesen, alleine, ohne Jagdfliegereskorte.

 

Als wir im Zielgebiet ankamen, verließ uns unsere P-47 (Thunderbolt)-Jagdfliegereskorte, und wir Bomberbesatzungen waren auf uns alleine gestellt. Wir flogen weiter mit dem Wissen, dass es schwer werden würde, da wir dort hineinflogen, wo der Himmel am dunkelsten war vor lauter Flakexplosionen.

 

Bei viel Flakfeuer schaltete ich immer den Thermostat meiner beheizten Fliegerkleidung auf eine niedrigere Temperatur. Während unseres Informationsbriefings vor dem Flug war mitgeteilt worden, dass auf unserer operationellen Höhe eine Temperatur von minus 50 Grad herrschen würde, aber hier fror ich überhaupt nicht. 

 

Als unser Bombenanflug kam, wurde es kritisch, denn man musste seine gerade Flugposition halten. Sollte man seine gerade Position nicht halten können, musste man das Ziel nochmal, ein zweites Mal anfliegen. Und keiner wollte nochmal durch dieses Flakfeuer. Der Bombenschütze warf unsere Bomben über dem Ziel ab, und ich folgte den Bomben mit meinem Kugelturm, drehte den Turm nach unten, als wir plötzlich im linken Flügel durch Flak getroffen wurden. Granatsplitter schlugen in meinen Turm  ein. Ich wurde im linken Bein und Arm getroffen. Motor Nr. 1 stand in Flammen. Über Interkom gab der Pilot den Befehl, das Flugzeug zu verlassen bzw. mit dem Fallschirm abzuspringen. Bevor aber jemand antwortete, sagte er dann, „Moment, ich kann den Brand am Motor 1 vielleicht löschen.“


Während dieser Zeit war ich längst dabei, mich aus dem Kugelturm zu befreien, um wieder in den Rumpf des Flugzeugs zu gelangen. Im Kugelturm war ja kein Platz für einen Fallschirm, also musste man sich den Fallschirm im Rumpf des Flugzeugs holen, wo man ihn vorher verstaut hatte. Zwei Hebel an der kleinen Tür des Kugelturms ließen sich, wohl durch die Kälte, aber überhaupt nicht bewegen, und als ich daran zog, brachen beide ab. Im Kugelturm befand sich eine kleine Werkzeugtasche, hauptsächlich für die beiden Maschinengewehre in meinem Kugelturm, falls mal eine Störung sein sollte. Schnell entnahm ich eine Zange und einen Schraubenzieher und schaffte es schließlich irgendwann, die Türschlösser zu öffnen. Als ich die Tür oberhalb meiner Sitzposition öffnete und hinauskletterte, stand da schon unser Funker, Charles „Chas“ Spear mit meinem Fallschirm in den Händen. Er hakte ihn bei mir an meinem Gurtzeug ein und sagte:, „Lass uns springen.“ Zur gleichen Zeit wütete das Feuer am Motor Nr. 1 immer mehr, und der Pilot sagte nur ein Wort: “Abspringen!“



Wir schauten zur Tür, dort stand unser Rumpfschütze, Russel Dick. Er schaute herunter und war wie versteinert. Charles Spear sagte zu Dick, dass er springen soll, aber er machte keine Anstalten zu springen, worauf Spear Dick beim Kragen nahm und ihn zur Seite schob, wobei Dick zu Fall kam. Spear sprang aus dem Flugzeug, und als Dick das sah, sprang er direkt hinterher. Ich schaute vor und zurück, sah im Flugzeug niemand mehr, und ging zur Tür, fertig zum Absprung. Plötzlich begann das Flugzeug einen abrupten Sinkflug, steil nach unten, wodurch ich auf den Boden geschleudert wurde, bis an den Eingang meines Kugelturms. Man kann sich bei einem steilen Sinkflug kaum bewegen wegen der Kräfte, die wirken, aber ich schaffte es, die Rippen des Flugzeugs zu erreichen. Ich nutze sie als Leiter, um weiter hoch zur Tür zu gelangen.  Währenddessen dachte ich an vieles, was ich während meines Lebens gerne noch gesagt oder gemacht hätte, und ich bat zu Gott, dass er mir helfen soll, durch diese Tür zu kommen. Es ist erstaunlich, dass man in so kurzer Zeit an so viele Sachen denken kann, die man getan oder noch nicht getan hat. Ich erreichte die Tür, aber es war schwer, mich soweit hinauszulehnen, dass der Luftstrom mich herausziehen konnte. Aber es gelang.



Uns war immer erzählt worden, so lange zu warten mit dem Ziehen (des Fallschirm-Auslösegriffes), bis man weit genug vom eigenen und anderen Flugzeugen entfernt war. Also wartete ich, bis ich durch die Wolken fiel und den Boden sehen konnte. Jetzt dachte ich, warum habe ich meinen Fallschirm nicht auf normalem Wege, sondern aus der „Kontrollbox“ geholt, und warum soll ich eigentlich warten mit dem Ziehen des Auslösegriffes, da man manchmal auch ein wenig nachhelfen musste um den Schirm aus dem Packbehälter am Bauch hinaus zu befördern. Aber zum Glück funktionierte alles prima, und ich war erleichtert, als ich sah, wie der Schirm sich über mir entfaltete. Ich landete in einem Feld mit knietiefem Schnee, und der Wind zog mich über einen Stoppelacker. Ich schaffte es, durch Ziehen an der unteren Seite der Fallschirmkappe, die Luft entweichen zu lassen, wodurch der Schirm schließlich zusammen fiel. Wie man im Training gelernt hatte, fing ich an, ein Loch im Schnee zu graben, um meinen Fallschirm zu verstecken, aber plötzlich sah ich zwei deutsche Soldaten auf mich zurennen. Ich gab den Plan, meinen Schirm zu vergraben, auf und rannte zu einem Wäldchen an der anderen Seite des Feldes. Die Soldaten feuerten zwei Schüsse auf mich ab, und als ich zurückschaute, sah ich auch, dass sich mittlerweile an die 25 Menschen/Zivilisten auf dem Feld versammelt hatten. Die Zivilisten waren sauer und ein junger Mann mit einem Messer machte danach mehrmals Andeutungen, dass er meinen Hals durchschneiden würde. Ich wusste, den mag ich überhaupt nicht. 


Die zwei Soldaten hielten mich links und rechts fest und trugen mich zu einem LKW, der dort am Wegesrand stand. Der LKW war voll beladen mit Brot. Sie befahlen mir auf der Ladefläche auf dem ganzen Brot Platz zu nehmen, und als ich nicht schnell genug reagierte, zogen sie ihre Pistolen und hielten mir diese an die Schläfen. Mit dem Pistolenlauf deuteten sie auf die Ladefläche. Ein wenig erleichtert war ich, denn sie würden mich wohl nicht auf der mit Brot beladenen LKW-Ladefläche erschießen.



Der LKW fuhr zu einem kleinen Dorf und hielt vor einem Haus an, in das  ich hineingehen musste. Es war wohl eine kleine Manufaktur, denn in verschiedenen Zimmern saßen Frauen hinter Nähmaschinen. Ich hatte Kopfschmerzen, eine Beinverletzung und eine kleine Wunde an der Vorderseite meines linken Arms. Derjenige, der wohl die Leitung hatte, kam zu mir und bot mir in gebrochenem Englisch Schmerztabletten an. Ich war vorsichtig wegen den Tabletten, also sagte ich, dass meine Verletzungen nicht schmerzten, obwohl ich ihn wegen meinen Schmerzen wohl nicht täuschen konnte. Ich wurde dort festgehalten, bis zwei Männer in Zivilkleidung kamen und sagten, dass ich mit ihnen gehen soll. Ich mochte das damals nicht und heute noch genauso wenig. Das konnte für mich richtig in die Hose gehen. Unter Soldaten fühlte ich mich sicherer.


Mannheim
Mannheim

Diese zwei Männer fuhren einen VW-Käfer. Es war das erste Mal, dass ich so ein Auto sah, und ich dachte, es wäre ein Spielzeugauto. Mit dem Käfer fuhren sie mich nach Mannheim. Wir hatten ja am gleichen Tag die Gleisanlagen und die Stadt bombardiert, es war deshalb ein völliges Durcheinander. Häuser waren zerstört, einige brannten noch, und überall liefen Menschen umher, um noch aus ihren Häusern zu retten, was es zu retten gab. Eine Frau stand dort in der Mitte, wo wohl vorher ein (ihr) Haus gewesen war und hatte einen Fotorahmen unter ihrem Arm. Diese Frau bekomme ich seitdem nicht mehr aus meinem Kopf, obwohl ich das alles gerne vergessen würde.“



Sgt. Brown wurde über das zerstörte Mannheim, wo er die meisten seiner Kameraden kurz vor dem Transport in Richtung Frankfurt wiedersah, über das Durchgangslager Oberursel, Wetzlar, in Kriegsgefangenschaft verbracht. Während der Verhörphase wurde ihm mitgeteilt, dass zwei seiner Kameraden bei dem Absturz ums Leben gekommen sind. Sgt. Brown überlebte den Krieg. Er verstarb in 2008 im Alter von 85 Jahren.